100-jähriger Geburtstag einer fast vergessenen Bahnstrecke


Viele Stolberger kennen diese zwischen Eschweiler-Pumpe und Eschweiler-Aue gelegene Stelle an der Phönixstraße.

Wer von Eschweiler-Pumpe zum Bahnhof Eschweiler-Aue fährt, der kommt auf der Phönixstraße an einem gewaltigen Widerlager einer abgebauten Eisenbahnbrücke vorbei. Bei genauerer Betrachtung sieht man anhand von drei Verzierungen, dass es sich hier um ein im Jahre 1912 vom Eschweiler Bergwerksverein (EBV) errichtetes Bauwerk einer Bahnstrecke handelt.


Das östliche Widerlager der einstigen Eisenbahnbrücke. Im unteren Ornamentfeld ist deutlich die Jahreszahl  „1912“  zu lesen.

Hinter dem Möbelhaus kann man in der dahinterliegenden Arbeitersiedlung einen weiteren, mittlerweile von Pflanzen  vollständig überwucherten Brückenpfeiler finden. Vom Stolberger Hauptbahnhof her gibt es außerdem einen hohen, bis zur Inde reichenden Bahndamm. Neben diesen Relikten ist von dieser Bahnstrecke nicht all zu viel überliefert.

Der 100. Geburtstag soll Anlass sein, diese Bahnstrecke einmal genauer anzuschauen.

Auf alten Landkarten wird sichtbar, dass diese Strecke einstmals eine Verbindung zu den „Concordiawerken“ am Ichenberg in Eschweiler war. Nahe des Eschweiler Hauptbahnhofs befand sich von 1856 bis 1940 die „Concordia-Hütte“, die zunächst über einen Gleisanschluss an die Strecke Köln – Aachen der Rheinischen Eisenbahn verfügte. Anhand von Mauerresten kann man die Lage des Gleisanschlusses auf der Westseite des Ichenberger Tunnels bis heute noch erkennen. Als die Bergisch-Märkische Eisenbahn am 01. Oktober 1873 ihre Strecke von Hochneukirch über Jülich und Eschweiler-Talbahnhof bis Eschweiler-Aue eröffnete, erhielt die „Concordia-Hütte“ an diese Strecke ebenfalls einen Gleisanschluss. Daneben gab es im Bereich zwischen dem Eschweiler Hauptbahnhof und dem Bf. Eschweiler-Aue umfangreiche Werksbahnanlagen zur Erschließung der dortigen Eisen- und Stahl verarbeitenden Betriebe und der übrigen dortigen Industriebetriebe. Die Werksbahnanlagen wurden dabei vermutlich vom Eschweiler Bergwerksverein betrieben. Neben der „Concordia-Hütte“ betrieb der Eschweiler Bergwerksverein in der Nachbarschaft u.a. ein Walzwerk und ein Röhrenwerk. Wegen des Höhenunterschiedes zwischen dem Indetal und den Hochöfen der „Concordia-Hütte“ gab es im dortigen Werksbahnnetz sogar auch Abschnitte mit Zahnradbetrieb.


Auf dieser zwischen 1893 und 1895 entstandenen Landkarte aus dem Fundus der ehemaligen Bahnmeisterei Stolberg wird die Situation vor dem Bau der Direktverbindung vom Stolberger Hauptbahnhof zur „Concordia-Hütte“ wiedergegeben.

Um den Werksbahnbetrieb im Bereich des Bf. Eschweiler-Aue zu entlasten, aber auch, um einen eigenen unmittelbaren Anschluss der EBV-Werksbahn an den Rangierbahnhof Stolberg zu gewinnen, wurde schließlich eine zusätzliche Bahnverbindung gebaut, die im Jahre 1912 fertiggestellt wurde. Durch die bis zu 16 m hohe und 208 m lange Brücke über das Indetal und die hohen Dammaufschüttungen sollte gleichzeitig auch eine topografisch günstige Anbindung erreicht werden, die die hinderliche Überwindung der Höhenunterschiede zwischen Stolberg Hbf und dem Bf. Eschweiler-Aue einerseits und vom Bf. Eschweiler-Aue hinauf zur „Concordia-Hütte“ andererseits beseitigte. Die von der Stahlbauabteilung des EBV geplante und aus insgesamt rd. 340 t Stahl gefertigte Brücke war seinerzeit die längste Stahlbrücke in der Stadt Eschweiler.

Diese Indebrücke wurde als Stahlgitterbrücke ausgeführt, die aus 11 Segmenten bestand und zwischen den Widerlagern auf insgesamt 10 Pfeilern ruhte. An beiden Uferseiten der Inde befanden sich zwei Betonpfeiler, auf denen ein Fischbauchträger auflag. Die übrigen 10 Segmente waren einfache Blechträgerkonstruktionen, deren Pfeiler als Stahlgerüste ausgeführt waren. Zwischen dem von West nach Ost gezählten vierten und fünften Pfeiler zwischen Inde und Phönixstraße befand sich zusätzlich eine x-artige Versteifung. Nahe beim östlichen Widerlager überspannte die Brücke auch die auf der Phönixstraße verlaufende Straßenbahnlinie von Stolberg nach Eschweiler.
Zeitgenössischen Berichten zufolge soll die fertiggestellte Brücke aber nur einmal mit einer EBV-Werkslok befahren worden sein. Danach versagten die zuständigen preußischen Behörden im Jahre 1912 aus statischen Gründen die Befahrung der Brücke, so dass sie nie den ihr zugedachten Zweck erfüllen konnte. Wegen der statischen Mängel und der Unterlassung von Nachbesserungen oder Umbauten soll kein regelmäßiger Zugverkehr über die Brücke aufgenommen worden sein. Während der von 1920 bis 1926 währenden Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg sollen allerdings die belgischen und französischen Eisenbahner der sog. „Regiebahn“ zwischen 1923 und 1925 die Brücke benutzt haben, um über die Direktverbindung Reparationsgüter abzutransportieren.


Diese in den 1950er Jahren entstandene Fliegeraufnahme zeigt die vom EBV errichtete Brückenkonstruktion in ihrer gesamten Ausdehnung. Im Hintergrund liegen das EBV-Röhrenwerk (heute „ESW“) und rechts davon der Bahnhof Eschweiler-Aue. Im Bereich der linken Bildecke verläuft die Strecke Köln-Aachen.

Die stählernen Bestandteile der Brücke wurden schließlich im Jahre 1959 von der Eschweiler Firma Albert Hoffmann wieder abgebaut und verschrottet.

Die „Concordia-Hütte“ existierte etwas länger. Ihre drei Hochöfen produzierten zunächst von 1856 bis 1940 Roheisen. Anschließend baute der EBV auf dem Standort ein neues Elektrostahlwerk, das von 1957 bis 1986 in Betrieb stand. Im Januar 1984 verkaufte der EBV seine Hüttenbetriebe an die Maximilianshütte in Sulzbach-Rosenberg (Bayern), die die Anlagen rasch stillegen wollte . Während dies beim Elektrostahlwerk und dem Walzwerk („Werk Aue“) gelang, konnte das Röhrenwerk gerettet werden. Die Maximilianshütte ging ihrerseits 1987 selbst in Konkurs. Als letzte Bestandteile der Eschweiler Stahlindustrie und der EBV-Hüttenbetriebe produziert man im Röhrenwerk bis heute unter der Firma „ESW-Röhrenwerke GmbH“ nahtlos gewalzte Rohre und Röhren und nutzt immer noch größere Bereiche der einstigen Werksbahngleise des EBV. Insbesondere im Betriebsteil „Blockbearbeitung“ werden auch noch einige der Werksbahngleise im Umfeld der einstigen „Concordia-Hütte“ befahren. Die Gleise auf der Zufahrt zu der Brückenrampe sind auf der östlichen, der Eschweiler Seite allerdings von Buschwerk und Bäumen zugewachsen. Vom Stolberger Hauptbahnhof her gibt es noch den hohen, bis zur Inde reichenden Bahndamm, auf dem sich bis heute ein langer Gleisrest der einstigen Direktverbindung befindet, der als Ausziehgleis genutzt wird.

11 Gedanken zu „100-jähriger Geburtstag einer fast vergessenen Bahnstrecke“

  1. Hallo Roland,
    danke für die tollen Infos zur ehemaligen Bahnstrecke – hab´ mich immer schon beim Befahren der Phönixstraße gefragt, wann hier wohl Züge über eine nicht mehr existierende Brücke gerattert sind. Gibt es denn von der Brücke sonst kein Bildmaterial mehr; wobei die „Fliegeraufnahme“ natürlich Klasse ist, zeigt sie doch das komplette Ausmaß der Konstruktion.

    Beste Grüße (und bitte weiter so!)
    Karlheinz

    1. Hallo Karlheinz,

      Fotos mit Loks oder Zügen auf der Brücke oder auf der Strecke habe ich bisher noch nicht gesehen.
      In dem Buch „Eschweiler Pumpe-Stich“ – Heimatbuch über einen Stadtteil, das der Eschweiler Geschichtsverein e.V. – Arbeitskreis Stadtteilforschung Pumpe-Stich – im Jahre 2007 veröffentlichte, gibt es auf der Seite 74 ein Brückenfoto, das aus Richtung der Strecke Köln-Aachen mit dem Röhrenwerk im Vordergrund aufgenommen wurde. Weiterhin gibt es in diesem Buch auf den Seiten 102/103 drei weitere Fotos von der Brücke, u.a. eines von der Demontage. Mehr Bilder kenne ich nicht. Aber vielleicht taucht ja irgendwann noch einmal etwas auf…

      Mit vielen Grüßen

      Roland

  2. Hallo!

    Ich war heute mal dort, um nach dem überwucherten Brückenpfeiler zu suchen (leider vergebens) und mußte feststellen, daß das Widerlager in der Phönixstraße restlos verschwunden ist; dort wird mächtig gebuddelt!

  3. Ich habe mir den Beitrag aus aktuellem Anlaß durchgelesen und finde ihn sehr informativ. Der aktuelle Anlaß ist allerdings trauriger Natur. Ich bin am 5.9.13 dort vorbeigekommen und mußte entdecken, das das Baudenkmal abgerissen wurde. zu Glück hatte ich es vor ein paar Jahren schon mal photographiert.

    Beste Grüße
    Frank

  4. Den überwucherten Brückenpfeiler gibt es noch.
    Man muß von der Phönixstr. rechts am Möbelhaus vorbei schauen….dann sieht man ihn.
    Und bitte weiter so tolle Infos über vergangene Zeiten.

    Ach ja….Wo find ich mehr über die Concordiahütte ?

    Liebe Grüße
    H.Brandt

  5. Auf dem Verlauf des alten Bahndamms läuft nun eine Umgehungsstrasse, das Widerlager ist abgerissen und hat der Strasse Platz gemacht.
    Ob der Brückenpfeiler noch steht weiß ich nicht, werde ich bei Gelegenheit einmal schauen.

    Danke für die Informationen, sehr interessant. Bin darauf gestoßen bei der Recherche über die Concordiahütte.

    1. Hallo,

      die Umgehungsstrasse verläuft nicht auf, sondern neben dem alten Bahndamm. Der alte Bahndamm ist noch zum Teil vorhanden.
      Z.B ist am Ende der Straße „Pümpchen“ noch die zugemauerte Bahnbrücke vorhanden.
      Dort ging ein Weg zu den Konstruktionsbüros des EBVs und es gab dort zwei ehemalige Villen/Häuser die ehemals von Werksangehörige (Chefs / leitende Angestellte) bewohnt wurden und in den späten 70ern abgerissen wurden. Auch gab es noch eine größere Villa , die aber schon in den 60er Jahren nicht mehr bewohnt war.

  6. Finde diese Alten Bilder einfach faszinierend . Würde mich freuen wenn es auch Bilder der Umgebung
    der EBV Fabrikgebäuden gibt . Insbesonders “ Am Hohen Stein “ – „Im Hasselt “ . Dort war auch das
    EBV Zentral Magazin . Herzlichen Dank an alle die es uns ermöglichen in alten Erinnerungen zu
    schwelgen . Bitte weiter so .

    1. Hallo Herr Greven,

      es freut mich, wenn der Bericht Interesse findet. Mit Bildern von den EBV Fabrikgebäuden oder aus der Umgebung der“ Am Hohen Stein “ – „Im Hasselt “ kann ich leider nicht dienen. Ebenso kann ich zum EBV Zentral Magazin kann ich leider nur „Fehlanzeige“ melden.

      Mit freundlichen Grüßen aus Stolberg
      Roland Keller

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