Eisenbahntradition anno 2013

Stolberg kann auf eine lange Eisenbahntradition zurückblicken. Aber interessiert das heute überhaupt noch jemanden? Wer auf das zu Ende gehende Jahr zurückblickt, wird bemerken, dass weder von der Deutschen Bahn AG noch von anderen Infrastrukturbetreibern oder von Industriebetrieben irgendein Jubiläum gewürdigt oder Geburtstag gefeiert worden ist. Und dabei hätte es im Jahr 2013 einige Gelegenheiten gegeben, in Stolberg mit Stolz auf eisenbahngeschichtliche Ereignisse zurückzublicken oder Jubiläen zu begehen.

Hier einige Beispiele für runde Geburtstage:

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Der erste Fahrplan der Eisenbahnstrecke Köln – Aachen – Herbesthal – Verviers – Lüttich

Am 15. Oktober 1843 wurde die Erweiterung der Strecke Köln – Aachen über Ronheide bis zum Grenzbahnhof Herbesthal von der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft feierlich eröffnet und damit die erste grenzüberschreitende deutsche Eisenbahnstrecke in Betrieb genommen. Die Vision des „Eisernen Rheines“ war Wirklichkeit geworden! Während man das 150-jährige Streckenjubiläum im Jahre 1993 mit einem großen Eisenbahnfest zelebrierte, ist der 170. Geburtstag offenbar nicht einmal der Erwähnung wert. um1843_GeulthalViadukt_x1_F
Wie dieses um 1843 entstandene Bild des Geultalviaduktes erkennen lässt, waren die Menschen von den neu geschaffenen Kunstbauwerken entlang des „Eisernen Rheins“  fasziniert.

Am 01. Oktober 1873 eröffnete die Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft die Strecke von Jülich nach Eschweiler-Aue. Durch den Ministererlass vom 26. November 1883 erhielt die preußische Staatsbahn die Genehmigung zur Verlängerung dieser Strecke bis Stolberg Hbf. Obwohl diese Strecke heute nur noch zwischen Stolberg Hbf und Frenz vorhanden ist und die Euregiobahnzüge sie nur bis Weisweiler benutzen, ist damit zumindest noch ein längerer Streckenabschnitt in Betrieb und kann somit auf 140 Jahre Bahnbetrieb zurückblicken.
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Am 02. April 1980 gab es noch durchgehende Züge von Mönchengladbach über Hochneukirch – Jülich – Inden – Eschweiler-Tal und Stolberg Hbf nach Aachen. Der Eschweiler Talbahnhof zeigte sich noch als weitläufiger und repräsentativer Stadtbahnhof der einstigen Bergisch-Märkischen Eisenbahn. 

Das im Jahre 1888 erbaute Empfangsgebäude des Stolberger Hauptbahnhofs wird in diesem Jahr 125 Jahre alt. Obwohl es für eine neue Verwendung durch die EVS umgebaut und äußerlich saniert worden ist, scheint der besondere Geburtstag keine Beachtung zu finden. Das Umfeld ist seit sehr langer Zeit in einem sehr unschönen Zustand, das Bahnsteigdach am Gleis 43 ist immer noch nicht wiederhergestellt. Am 24. und 25. September 1988 wurde der 100. Geburtstag noch mit einem abwechslungsreichen Bahnhofsfest gefeiert….
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Als die Deutsche Bundesbahn das Empfangsgebäude des Stolberger Hauptbahnhofs im Jahre 1976 sanierte, wurde die an der Spitze des westlichen Giebels angebrachte Jahreszahl 1888 als sichtbares Zeichen der Eisenbahntradition deutlich erkennbar hervorgehoben (oben). Bei der jüngsten Sanierung hatte man die Jahreszahl nicht nur ohne Gefühl für das historische Bahnhofsgebäude vernachlässigt, sondern auch noch achtlos mit einem Blitzableiter verschandelt (unten).
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Eisenbahntradition im Stil der Deutschen Bundesbahn – engagierte Eisenbahner stellten mit überschaubarem Aufwand und mit Hilfe regionaler Akteure ein ansprechendes, abwechselungsreiches Programm zur Feier des 100. Geburtstages zusammen…

Die 1913 gebaute Werksbahndampflok „St. Gobain“ des gleichnamigen Glaswerkes in Stolberg ist 100 Jahre alt geworden. Die eigentlich vorbildlich hergerichtete Denkmallok ist aber nahe der Nikolausstraße hinter Glasscheiben schlecht sichtbar und für die Öffentlichkeit und selbst für interessierte Eisenbahnfreunde unzugänglich im Werksgelände aufgestellt.
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Als die Firma „St. Gobain“ ihre langjährige Werklok im Jahre 1974 erstmals als Denkmal  herausgeputzt hatte, war man stolz auf die damals schon 61-jährige Dampflok und gewährte Eisenbahnfreunden noch unkompliziert den Zugang zu der in der Nähe des Pförtnerhäuschens aufgestellten Lok, um ein Foto aufzunehmen.

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Die Firma „St. Gobain“ beteiligte sich mit ihrer Werkslok auch 1976 am Dampflokabschiedsfest und 1988 an der Feier zum 100. Geburtstag des Stolberger Hauptbahnhofs und präsentierte ein Stück lokale Eisenbahngeschichte der Industriestadt Stolberg.

Der Rückblick auf die jüngere Eisenbahngeschichte – beispielsweise in das Jahr 1983 – bringt dagegen eher traurige Ereignisse ins Bewusstsein zurück: Am 27. Mai 1983 wurde der Reisezugverkehr zwischen Stolberg Hbf und Jülich eingestellt. Damit einhergehend wurde zwischen Frenz und Jülich der Gesamtverkehr eingestellt. Im Jahre 1983 wurde außerdem ein Umbau des Empfangsgebäudes des Stolberger Hauptbahnhofs abgeschlossen. Seinerzeit waren auf der Ost- und Südseite neue Räume für das Bahnhofsbüro und den Stützpunkt Stolberg des Betriebswerkes Aachen geschaffen worden, die aber nur kurze Zeit Bestand hatten. Im Oktober 1983 wurde außerdem die großzügige Überdachung des Bahnsteigs an den Gleisen 1 und 2 des Stolberger Hauptbahnhofs abgerissen. Ein gleichwertiger Ersatz wird den Bahnkunden bis heute vorenthalten.
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Am 15. Oktober 1983 war die Dachhaut der Bahnsteigüberdachung bereits entfernt. Das Holzgerüst wurde einen Monat später abgebrochen.

Offenbar haben sich die Zeiten wohl zu Ungunsten der Bahn gewandelt. In den Chefetagen sind nur selten noch Menschen anzutreffen, die den Eisenbahnerberuf von der Pike auf gelernt haben und mit Stolz und Ethos, mit Herzblut und Traditionsbewusstsein ihre Aufgaben erfüllen. Die Folgen des übereifrigen Rückbaus von Eisenbahninfrastruktur, Personalknappheit, Arbeitsverdichtung und andere ungünstige Entwicklungen haben bei vielen Beschäftigten der über lange Jahre hinweg hartnäckig den Börsengang anstrebenden Deutschen Bahn AG dazu geführt, dass auch dort das Interesse an der Historie ihres Berufsumfeldes geringer geworden ist. Und in der öffentlichen Wahrnehmung hat die auf optimalen Profit getrimmte Eisenbahn zunehmend Schwierigkeiten, sich ein positives Image zu erhalten. Die Mehrheit der Bahnkunden wird heute zumeist eng zusammengepfercht in unbequemen Regionalbahnzügen befördert. Mangelhafte Pünktlichkeit, Zugausfälle und störanfällige Fahrzeuge prägen beim Reisepublikum das Bild des Bahnbetriebes. Wo aber die Begeisterung für die Eisenbahn verlorengeht und der Genuss einer Bahnfahrt ausbleibt, entwickelt sich kaum mehr eine Identifikation mit den heimatlichen Bahnhöfen und Bahnstrecken.

Vielleicht ist es deshalb so wie es ist……

Blicken wir dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft und erfreuen wir uns an den Dingen, die die Zukunft bringen könnte: ein freundliches Umfeld und reichlich Parkplätze rund um den Stolberger Hauptbahnhof, den Anschluss Breinigs an das Euregiobahnnetz, den Lückenschluss zwischen Stolberg Hbf und Alsdorf und noch manches andere.

Zum Tag der Deutschen Einheit: Erinnerung an den Bahnhof Stolberg im Harz

Die Städtepartnerschaft zwischen Stolberg im Rheinland und Stolberg im Harz steht am Tag der Deutschen Einheit schon traditionell im Mittelpunkt der lokalen Feierlichkeiten. Seit der Wiedervereinigung finden in jährlichem Wechsel gegenseitige Besuche statt. Im Jahre 2013 empfängt das rheinische Stolberg wieder einmal Gäste aus dem Harzer Stolberg. Der heute etwa 1400 Einwohner zählende Luftkurort im Harz besaß bis zum 01. September 2010 das Stadtrecht und ist infolge seiner Eingemeindung zu einem Ortsteil der Gemeinde „Südharz“ degradiert worden.

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Diese zeitgenössische Ansichtskarte zeigt den Bahnhof Stolberg im Harz mit seinem Empfangsgebäude und einem kleinen Güterschuppen. Der aus Berga-Kelbra eingetroffene Personenzug war mit einer Tenderlok der preußischen Gattung T 9.3 bespannt worden. Da an der Lok noch keine Beschriftung nach den Normen der Deutschen Reichsbahn erkennbar ist, dürfte die Aufnahme wahrscheinlich zwischen 1923 und 1925 zu datieren sein.

Während die Eisenbahn in Stolberg (Rheinland) derzeit eine aufstrebende Entwicklung verzeichnet, hatte es die Partnerstadt in der Vergangenheit nicht nur schwer gehabt, einen Anschluss an das Eisenbahnnetz zu erhalten. Im Jahre 2011 hat Stolberg im Harz seinen Bahnanschluss leider auch schon wieder verloren.

Vom Bahnhof Berga-Kelbra an der Hauptstrecke Kassel – Halle, der übrigens wie der Hauptbahnhof des rheinischen Stolberg als Keilbahnhof angelegt wurde, erbaute man ab 1888 zunächst nur eine rund 10 km lange Stichstrecke nach Rottleberode. Um der Stadt Stolberg im Harz ein wenig entgegen zu kommen, trug der Endbahnhof bei der feierliche Eröffnung der Bahnstrecke am 1. Juni 1890 allerdings die bahnamtliche Bezeichnung „Stolberg – Rottleberode“. Die Verlängerung der Bahnstrecke von Rottleberode bis zum Stadtrand von Stolberg im Harz dauerte schließlich noch bis 1923. Auf der nun insgesamt 14,9 km langen Nebenstrecke verkehrten zeitweise durchgehende Züge von/nach Leipzig und Magdeburg. Als in den 1980er Jahren wieder mehrere Personenzüge mit Dampfloks befördert wurden, fand die Strecke bei Eisenbahnfreunden einige Jahre lang größeres Interesse.
Obwohl die Linie selbst 40 Jahre sozialistische Planwirtschaft überstanden hatte, schaffte man es im wiedervereinigten Deutschland nicht mehr, der Nebenstrecke eine Zukunft zu eröffnen. Im Rahmen der Durchsetzung des „marktorientierten Angebotes Cargo“ (MORA C) wurden kurz nach der Wende die meisten Bahnanschlüsse stillgelegt. Schon kurz nach der Bahnreform musste die Strecke am 26. November 1995 wegen des schlechten Bauzustands der Steingewölbebrücken gesperrt werden.
Erst nachdem das Land Sachsen-Anhalt im Jahre 1996 für weitere 15 Jahre Personenverkehrsleistungen für die Strecke garantiert hatte, veranlasste die DB-AG die Sanierung der Strecke bis 1998, so dass die im Zwei-Stunden-Takt verkehrenden Reisezüge nach Anhebung der Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h fortan nur noch 18 Minuten für die gesamte Strecke benötigten. Obwohl man der Strecke dem Zeitgeist folgend noch den Namen „Thyraliesel“ verpasst hatte und mit der Burgenlandbahn einen privaten Betreiber mit der Durchführung des Reisezugverkehrs beauftragte, mussten die meisten Zugleistungen wegen mangelnder Auslastung abbestellt werden. Seit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember 2007 verkehrten Reisezüge nur noch am Wochenende. Zum Fahrplanwechsel im Dezember 2011 bestellte der ÖPNV-Aufgabenträger, die Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA), mangels Auslastung auch noch diesen Wochenendausflugsverkehr ab. Zum 31. März 2012 genehmigte das Eisenbahn-Bundesamt die dauerhafte Stilllegung der Bahnstrecke Rottleberode Süd–Stolberg (Harz). Zwischen Berga-Kelbra und Rottleberode Süd findet noch Güterverkehr statt.

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Ein Bild aus besseren Tagen: Der Bahnhof von Stolberg im Harz verfügte über eine längere Ladestraße und verschiedene Güterverkehrsanlagen. Auf der Ansichtskarte ist eine preußische Tenderlok bei Rangierarbeiten mit zwei gedeckten Güterwaggons zu sehen. Im weiteren Bahnhofsareal sind noch rund 10 weitere Güterwagen zu sehen. Nachdem die Deutsche Bahn AG die Bahnstrecke „saniert“ hatte, verfügte der Bahnhof Stolberg im Harz nur noch über ein Gleis, das am Hausbahnsteig des Empfangsgebäude endete und alleine den Bedürfnissen des Triebwagen- oder Wendezugverkehrs genügte. Selbst das  Umfahren eines konventionellen Zuges war dort nicht mehr möglich…