Mit dem Sonderzug zur Marienwallfahrt nach Kevelaer

Die Stolberger Pfarre St. Maria Himmelfahrt aus dem Stadtteil Mühle veranstaltete in den 1950er und 1960er Jahren regelmäßig einmal im Jahr eine Pilgerfahrt zum niederrheinischen Marienwallfahrtsort Kevelaer.

Kevelaer ist bereits seit 1642 ein Marienwallfahrtsort und hat sich mittlerweile zum größten Wallfahrtsort Nordwesteuropas entwickelt. Jedes Jahr sollen bis zu 1 Million Pilger die Stadt, die selbst nur rd. 28.000 Einwohner zählt, besuchen, um dort das Gnadenbild der heiligen Maria aufzusuchen. In der katholischen Kirche wird die Wallfahrt nach Kevelaer immer wieder mit Wunderheilungen verbunden. Im Jahre 1892 wurde das Gnadenbild durch den Papst mit einer goldenen Krone gekrönt und damit in die Reihe der vom Vatikan bestätigten Gnadenbilder aufgenommen. Außerdem wurde dem Pfarrer von Kevelaer 1884 das bis heute bestehende Privileg verliehen, an den katholischen Marienfeiertagen den heiligen päpstlichen Segen zu erteilen. Zudem wurde die Kevelaer Marienkirche 1923 zur päpstlichen Marienbasilika erhoben. Im Jahre 1987 besuchten auch Papst Johannes Paul II und Mutter Theresa den Wallfahrtsort Kevelaer.

Von 1801 bis 1821 gehörte Kevelaer übrigens einmal zum Bistum Aachen, danach wurde es dem Bistum Münster zugeschlagen.

Die Wallfahrten begannen häufig am nahe bei der Pfarrkirche gelegenen Bahnhof Stolberg-Mühle, wo die Pilger den Sonderzug bestiegen. Im kirchlichen Leben jener Jahre waren diese Wallfahrten bedeutende Ereignisse, an denen viele Katholiken teilnahmen. Die Züge erreichten deshalb beachtliche Längen.

Nach Schilderungen älterer Stolberger sollen sich zeitweise auch Pilgergruppen aus der Oberstolberger Pfarre St. Lucia angeschlossen haben, so dass die Pilgerzügen fallweise auch vom Bahnhof Stolberg-Hammer aus gestartet sein sollen.

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Pilgergruppe in der Nähe des Bahnhofs Stolberg-Hammer am 30. August 1965

In verschiedenen Jahren beteiligten sich auch Pilgergruppen aus der Pfarre Herz Jesu aus Stolberg-Münsterbusch an diesen Kevelaer-Wallfahrten. Dazu verkehrte dann eigens ein Schienenbuszug, der die Münsterbuscher Pilger am Bahnhof Münsterbusch abholte und sie bis zum Stolberger Hauptbahnhof brachte, wo man auf Gleis 87 eintraf und in den vom Bahnhof Stolberg-Mühle eingetroffenen, am Gleis 88 wartenden Pilgerzug umstieg. Bei der abendlichen Rückfahrt wiederholte sich der Ablauf entsprechend.

Seit je her ist es ein gerne geübter Brauch, bei zu besonderen Anlässen verkehrenden Zügen an der Lokomotive einen Hinweis auf das Ereignis oder einen zum Anlass passenden Schmuck anzubringen. Die von Stolberg nach Kevelaer verkehrenden Pilgerzüge hoben sich davon durch ihren außergewöhnlich reichhaltigen Schmuck allerdings deutlich ab.

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Geschmückte Sonderzuglok auf dem Bahnhof Stolberg-Mühle anläßlich der Marienwallfahrt 1957

Um seiner Frömmigkeit im Allgemeinen und der Marienverehrung im Besonderen deutlich Ausdruck zu verleihen (und vielleicht auch, um sich ein wenig von der Vielzahl der Wallfahrer in Kevelaer abzuheben), wurden die Lokomotiven dieser Pilgersonderzüge liebevoll und aufwendig geschmückt. Aufschriften zur Marienverehrung, ein prachtvoller Blumenschmuck und religiöse Symbole waren über Jahre hinweg typische Merkmale dieser Sonderfahrten. Obligatorisch war zudem ein Schild, das auf die Herkunft aus Stolberg hinwies.

Da diese Marienwallfahrten auch bei den Stolberger Eisenbahnern einen hohen Stellenwert genossen, unterstützten sie diese Unternehmungen nach Kräften. So wurden die zum Einsatz vorgesehenen Dampfloks schon am Vorabend oder am frühen Morgen des Fahrtages im Bahnbetriebswerk Stolberg gemeinsam von Eisenbahnern und Mitgliedern der Pfarren hergerichtet. Mitunter wurde der Schmuck der Lokomotive auch noch vor der Abfahrt am Ausgangsbahnhof ergänzt.

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Dieses Foto aus dem Jahre 1963 zeigt die für die Bespannung eines Pilgerzuges geschmückte Dampflok der Baureihe 50 im Bahnbetriebswerk Stolberg. Es entstand nahe der Drehscheibe. Im Hintergrund ist im östlichen Teil des Ringlokschuppens ein Schienenbus des Typs VT 95 zu erkennen. Vom Lichteinfall her dürfte das Foto am späten Nachmittag oder Abend aufgenommen worden sein.

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Wie dieses Foto eines aus Stolberg kommenden Pilgerzuges bei der Einfahrt in den Bahnhof Kevelaer aus dem Jahre 1967 zeigt, hatte der aufwendige Schmuck die Fahrt von Stolberg bis Kevelaer recht gut überstanden.

Der Bahnhof Kevelaer verfügte in den 1950er und 60er Jahren über mehrere Bahnsteige und Gleise. Speziell dem Verkehr dieser Gesellschaftssonderzüge diente der sogenannte „Pilgerbahnhof“, d.h. Bahnsteiganlagen, die damals direkt neben den normalen Bahnsteigen lagen. Zudem gab es am Abschluss dieser Gleisanlage auch eine Drehscheibe, die es ermöglicht, die Dampflokomotiven für die Rückfahrt zu drehen. Diese Ausstattung ermöglichte es nebenbei natürlich auch, mit der geschmückten Lok wieder standesgemäß in die Heimat zurückzukehren. Die Stolberger Pilgerzüge verkehrten häufig vom Pilgerbahnsteig am Gleis 7.
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Ankunft des Pilgersonderzuges aus Stolberg auf Gleis 7 des Bahnhofs Kevelaer

Darf man von den Schilderungen älterer Stolberger ausgehen, so hatten solche Wallfahrten etwa folgenden Ablauf:

In den Schaufenstern verschiedener Geschäfte, in Aushängen in der Kirche sowie im „Pfarrbrief“ wurde die Veranstaltung solcher Marienwallfahrten schon frühzeitig bekanntgemacht. Fahrkarten für den Pilgerzug kaufte man sich damals entweder am Bahnhof oder ganz einfach und unbürokratisch im Pfarrbüro.

Am Tag der Wallfahrt selbst hieß es früh aufzustehen. Obwohl man zuhause noch gefrühstückt hatte, wurde für die lange Marienwallfahrt reichlich Proviant für unterwegs eingepackt.

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Einfahrt des Sonderzuges zurMarienwallfahrt nach Kevelaer, aufgenommen im Jahre 1965 auf dem Bahnhof Stolberg-Mühle

Am Bahnhof herrschte schon vor der Abfahrtszeit Hochbetrieb. Die Pilger wurden häufig von ihren Angehörigen – sofern diese nicht ohnehin mitfuhren – zum Bahnhof begleitet und verabschiedet.

Die geschmückte Zuglok – auf den vorhandenen Fotos stets eine Lok der Baureihe 50 – rollte mit einer Vielzahl von Personenwaggons, wie man sie vom alltäglichen Fahrbetrieb her kannte (meist Umbau-Drei- und Vierachser) an den dicht bevölkerten Bahnsteig. Die Pilger hatten feste Waggons oder Plätze zugeteilt bekommen, so dass es einige Zeit dauerte, bis jeder seinen Sitzplatz gefunden hatte und der Zug abfahren konnte. War der Zug endlich voll, gab es den Abfahrtspfiff und die Reise ging los.

Im Zug wurden auf der Fahrt nach Kevelaer Kirchenlieder gesungen, wobei natürlich bevorzugt Lieder angestimmt wurden, die der heiligen Mutter Gottes gewidmet waren. Mitunter wurden solche Lieder auch mit einer Lautsprecheranlage im ganzen Zug übertragen. Auch einige Pastöre aus den Pfarrgemeinden der verschiedenen Pilgergruppen waren dabei und beteten mit dem ganzen Zug. Mitfahrer berichteten, dass auf der Hinfahrt nach Kevelaer überwiegend eine andächtige Stimmung herrschte.

Über Mönchengladbach und Krefeld wurde im Laufe des Vormittags das Ziel erreicht. Auch in Kevelaer herrschte Hochbetrieb rund um den Bahnhof. Schließlich fanden solche Wallfahrten bevorzugt an den kirchlichen Marienfeiertagen statt, an denen dann natürlich von vielen Orten her die Wallfahrer nach Kevelaer strömten.

Eine Pilgergruppe aus Stolberg im Jahre 1955 auf dem Weg vom Bahnhof  in die Stadt zum Gnadenbild der heiligen Maria.

An solchen Tagen verkehrten regelmäßig mehrere Pilgerzüge nach Kevelaer, und natürlich machten sich auch mit den regulären Zügen viele kleinere Pilgergruppen auf den Weg nach Kevelaer. Vom Bahnhof begaben sich die Wallfahrer in feierlicher Prozession zur Kirche, wo ein Festhochamt mit viel Weihrauch und langer Predigt stattfand. Zur Mittagszeit gönnte man sich ein gutes Feiertagsessen, dann ging man nochmals den Kreuzweg entlang und besuchte möglicherweise noch eine Andacht. Vor der Rückfahrt mussten selbstverständlich auch noch Souvenirs und Devotionalien eingekauft werden.


Häufig erwarben die Pilger auch einige der von den örtlichen Fotografen aufgenommenen und rasch entwickelten Fotos der Pilgergruppen (oben ein solches Bild von Stolberger Wallfahrtsteilnehmern aus dem Jahre 1957), da eigene Fotoapparate noch nicht so weit verbreitet waren bzw. die Aufnahmen der Fotografen qualitativ besser waren.

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Pilgersonderzug aus Stolberg bei der Ankunft in Kevelaer, aufgenommen in den 1950er Jahren.
Im Laufe des Nachmittags traf sich die Pilgergruppe aus Stolberg wieder auf dem Bahnhof. Auf der Rückfahrt war es im Zug nicht mehr so andächtig wie bei der Hinfahrt. In fröhlicher Runde wurden nun auch Volkslieder gesungen oder Witze erzählt. Es sollen sogar alkoholische Getränke verzehrt worden sein…

Nach der Rückkehr zum Heimatbahnhof gab es meist noch Gelegenheit, in der Kirche St. Maria Himmelfahrt einen Schlusssegen zu erhalten, aber dazu fanden sich längst nicht mehr alle Pilger in der Kirche ein…

Auch wenn der Wallfahrtsort Kevelaer sich ungebrochenem Zuspruch erfreut, so ist die Tradition der Pilgerfahrten mit der Eisenbahn zumindest in Stolberg längst Geschichte.

Wo sich am Bahnhof von Kevelaer einstmals umfangreiche Gleisanlagen zur Aufnahme der häufig verkehrenden Pilgersonderzüge befanden, sind den heutigen Verkehrsbedürfnissen folgend große Parkflächen, auch für Busse, angelegt worden.

Die hier gezeigten Fotos entstammen dem Archiv der St. Sebastianus Schützenbruderschaft 1659 Stolberg-Mitte und dem Archiv Bernd Mertens, bei denen ich mich an dieser Stelle für die Erlaubnis zur Verwendung nochmals herzlich bedanke.

Für Ergänzungen, Hinweise, weiteres Bildmaterial und anderes zu diesem Thema bin ich stets dankbar (=> mail@eisenbahn-stolberg.de )

(Letzte Bearbeitung:  26. März 2010)

2 Gedanken zu „Mit dem Sonderzug zur Marienwallfahrt nach Kevelaer“

  1. Ich selbst war so mansches Jahr Mitglied der Kevelaerbruderschaft , und habe so viele Jahre das Bild der Sonderzuglok in Heimarbeit hergestellt. Ein Foto beweist die Herstellung des Bildes auf dem Hof in Rathausstrasse 58. Mit Hilfe des Personals des Maschinenschuppens unter der Leitung von Herrn Vohns wurden die Bilder beim Eisenbahnbetriebswerk mit dem Zubehör auf die Lok montiert. Leider exestieren keine Fotos von der Montage und die Herrichtung der Loks. Im Nachlas meiner Mutter im Besitz von Pfarrer Hans Doncks müßten sich noch Bilder von den Kevelaerwallfahrten befinden. Einige besitze ich selbst. Gruß Josef Doncks.

    1. Hallo Herr Doncks,
      für ein Buch über die Eisenbahn in Krefeld suche ich Fotos von Pilgerzügen auf der Strecke von Krefeld nach Kevelaer. Hätten Sie hier vielleicht etwas im Archiv? Vielen Dank.

      Mit freundlichen Grüßen
      Markus Scholten
      47804 Krefeld

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