Widerstand gegen die Werksschließung – Bombardier-Standort Aachen vor dem Aus?

Mittlerweile ist zu diesem wichtigen Thema eine eigene Internet-Seite eingerichtet worden, die über den aktuellsten Stand der Entwicklungen informiert: http://talbot.blogsport.de.

Am Vormittag des 18. Oktober 2012 wurde bekannt, dass der kanadische Bombardier-Konzern seinen traditionsreichen Standort in Aachen schließen will. Wo seit 175 Jahren innovative Schienenfahrzeuge hergestellt werden, soll ab Mitte 2013 die Produktion ruhen. Von der Standortschließung wären rd. 600 Arbeitsplätze betroffen. Die Mitarbeiter wurden aus heiterem Himmel auf einer Betriebsversammlung über die Schließungspläne informiert. Die Konzernleitung begründete ihre Entscheidung mit der schwierigen Auftragslage – obwohl der Konzern kurz zuvor noch verkündete, dass die Auftragsbücher voll seien. Wie in den Medien berichtet wurde, sollen die Investitionen in den Schienenverkehr auf 5,6 Milliarden Euro ansteigen. Das Bombardier-Werk in Aachen soll derzeit zu 120 Prozent ausgelastet sein, es werden Überstunden und Zusatzschichten gefahren. Nachdem vor zwei Jahren 130 Beschäftigte entlassen worden waren, setzt Bombardier mittlerweile 200 Leiharbeiter im Aachener Betrieb ein.


Blick auf den Haupteingang des Bombardier-Standortes in Aachen mit einem Triebwagen der BR 430 für die S-Bahn Stuttgart, an dessen Bau auch das ehemalige Talbot-Werk in Aachen beteiligt ist.
Symbolträchtig steht am Eingang „Achtung – Schienenfahrzeuge haben Vorrang“ – hoffentlich können auch zukünftig genügend Aufträge eingeholt werden, um die Auslastung des Aachener Werks dauerhaft und nachhaltig zu sichern.

Der Betriebsrat und die IG Metall fordern den Erhalt des Werks, das vormals den traditionsreichen Firmennamen “Talbot” trug, und verlangen eine Sondersitzung des Bombardier-Wirtschaftsausschusses in Aachen. Gleichzeitig wurde vor dem Haupteingang an der Jülicher Straße eine Mahnwache eingerichtet.


Die von der IG Metall initiierte Mahnwache an der Jülicher Straße in Aachen. Hier wird über den Protest gegen die beabsichtigte Werksschließung informiert. Außerdem liegen hier die Unterschriftslisten für die Erhaltung des Standortes aus.

Die von der Werksschließung bedrohte Belegschaft fand in der Region spontan breite Unterstützung. Vom Aachener DGB-Haus zum Standort der Bombardier-Waggonfabrik in der Jülicher Straße wurde ein Solidaritätsmarsch veranstaltet. In der Politik stößt der Schließungsplan auf Unverständnis und Ablehnung. Am Freitag (19.10.) war u.a. der NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) angereist und erklärte, die NRW-Landesregierung würde alles tun, um den hochproduktiven Vorzeigestandort Aachen zu erhalten und für die Fortsetzung der Fertigung hochwertiger Schienenfahrzeuge in Aachen zu sorgen. Auch die Ministerpräsidentin des Landes NRW, Hannelore Kraft, wird sich für den Erhalt des Standortes Aachen einsetzen und will kurzfristig mit den Konzernverantwortlichen in Kanada telefonieren.

Die Aachener SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erhob schwere Vorwürfe gegen die Konzernleitung. In den “Aachener Nachrichten” wird sie mit den Worten zitiert “Noch vor zwei Jahren habe man die Politik benutzt, um Aufträge zu bekommen. Damit sollte der Standort Aachen gesichert werden. «Sie haben uns damit belogen und betrogen»”.
In einem Wochenblatt wird aus ihrer Ansprache an die Belegschaft ergänzend zitiert: “Es ist das vierte Mal, dass hier etwas kaputt gemacht werden soll. Ihr habt hier den Talent entwickelt und die haben ihn weggebracht, wir haben Aufträge akquiriert, die dann andere Werke bekamen, ihr habt auf Lohn verzichtet und Überstunden gemacht – und jetzt wirft man Euch den Brassel vor die Füße. Das ist eine Unverschämtheit.”


Auf einer Infotafel an der Mahnwache findet sich auch diese Information. Das aktuell in Aachen sichtbar gewordene Gesicht des Bombardier-Konzern passt nicht so recht zu der hier zitierten Eigendarstellung…

Solidaritätsbekundungen erhielten die Aachener Bombardier-Beschäftigten auch von den Betriebsräten der Bombardier-Standorte in Henningsdorf, Görlitz, Mannheim und Siegen. Darin heißt es beispielsweise, für die als Begründung angegebene mangelnde Auslastung trage das Management zum großen Teil selbst die Verantwortung, weil z.B. der Markt für Dieseltriebzüge, auf dem lange Zeit Produkte aus Aachen erfolgreich verkauft wurden, von Bombardier ohne Not aufgegeben wurde. Ebenso wird die fehlende Bereitschaft der Konzernleitung kritisiert, sich auch für kleinere und mittelgroße Auftragsumfänge zu engagieren.


Zu den bekanntesten Innovationen der Waggonfabrik Talbot gehört der Selbstentladewaggon für Schüttgüter. An dem vor dem Werkseingang aufgestellten Denkmalfahrzeug aus dem Jahre 1896 bildet eine lange Reihe Kerzen ein Zeichen von Solidarität und Hoffnung auf einen erfolgreichen Kampf für die Erhaltung des Standortes Aachen.

Der Betriebsrat des Standortes Aachen will jetzt zunächst abwarten, welche Ergebnisse die Tagung des Wirtschaftsrates am 25. Oktober bringt. Gleichwohl: Beim Aachener Werk der Firma “Bombardier Transportation GmbH” formiert sich der Widerstand gegen die zur Mitte des Jahres 2013 beabsichtigte Schließung des Standortes Aachen. Vor den Werktoren sind Unterschriftslisten ausgelegt worden, die allen Menschen Gelegenheit bieten, Solidarität zu bekunden und für den Erhalt der Arbeitsplätze einzutreten.

Dies war der Stand vom 21. Oktober 2012.

Zum Fortgang des Kampfes um den Erhalt des Werkes gibt es hier weitere Informationen:

Pressebericht vom 22. 10. 2012: Bombardier: Noch werden die fertigen Züge ausgeliefert.

Pressebericht vom 23. 10. 2012: Auch der OB findet klare Worte der Kritik für Bombardier-Chefs.

Bildergalerie auf „an-online“

Pressebericht vom 24.10.2012: Wieder sollen neue Aufträge das Bombardier-Werk retten.

Die Leitung des Bombardier-Konzerns hat ihren Beschluss, das Aachener Werk zu schließen, zwar nicht zurückgenommen, wie es die Arbeitnehmervertreter in der für den 25. Oktober anberaumten Sitzung beantragt hatten. Es soll aber ein „runder Tisch“ eingerichtet werden, an dem Wege ausgelotet werden sollen, alle 600 Arbeitsplätze am Standort Aachen  zu erhalten und Nachfolgeaufträge für die in Aachen Mitte 2013 auslaufenden Schienenfahrzeug-Bestellungen zu beschaffen. Siehe hierzu auch den
Pressebericht vom 25.10.2012: Bombardier: Kritik und Solidarität

Pressebericht vom 26.10.2012: Klartext vom Bischof: Arbeit hat Vorrang vor dem Kapital

Pressebericht vom 28.10.2012: SPD solidarisiert sich mit den Talböttern“

Der mit viel Hoffnung erwartete „runde Tisch“ hat leider nicht die Erwartungen erfüllt. Im Gegenteil: die von der Firma Bombardier entsandten Gesprächspartner zeigten wenig bis keine Bereitschaft, im Sinne einer Bestandssicherung des Standortes Aachen mitzuwirken. Auf der „Aachener Seite“ wurde das Auftrteten der Firma Bombardier mehrheitlich als arrogant empfunden.
Die Pressebericht zum „runden Tisch“ und der weiteren Entwicklung:

Pressebericht vom 29. Oktober 2012: „Kampf der Talbötter: Schon mehr als 8000 Unterschriften

Pressebericht vom 31. Oktober 2012: „Talbötter wollen weiter um ihre Jobs kämpfen

Pressebericht vom 02. November 2012: „Die Fassungslosigkeit ist immer noch da!

Ein Solidaritätskomitee, das sich am 30. Oktober gegründet hat, hat schon erste Projekte auf die Beine gestellt. Am verkaufoffenen Sonntag, 4. November, werden am Holzgraben von 13 bis 18 Uhr Unterschriften an einem Infostand gesammelt. Die Gesamtzahl ist inzwischen auf weit mehr als 10.000 anstiegen.

Weitere tagesaktuelle Informationen gibt es auf der Internet-Seite: http://talbot.blogsport.de.

Abschließend sei noch folgendes angemerkt:
An der Konzeption und Produktion der Talent2-Triebwagen, die derzeit zwischen Aachen und Siegen den Bahnkunden das Bahnfahren verleiden, ist das Aachener Werk nicht beteiligt gewesen. Obwohl der Bombardier-Konzern dafür gerne den renommierten Produktnamen „Talent“ entliehen hat, sind die „Talbot-freien“ Murksfahrzeuge der BR 442 von jenen Bombardier-Standorten gefertigt worden, die der Bombardier-Konzern für zukunftsfähig hält. …

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