Zur Verschrottung der 120 142 …

In den letzten Monaten hatte man sich beim Beobachten des Bahnbetriebs auf dem Stolberger Hauptbahnhof schon daran gewöhnt, dass in regelmäßigen Abständen ausrangierte Loks der Deutschen Bahn AG zur Verschrottung nach Eschweiler-Aue gebracht worden waren. Bei den überwiegend aus den 1960er Jahren stammenden Loks der Baureihen 110, 115, 139 und 140 verwunderte es auch nicht, diese im Jahre 2010 oder 2011 alters- und verschleißbedingt zu verschrotten. Bei den ehemaligen DDR-Reichsbahn-Loks der Baureihen 143 war das schon weniger verständlich.

Als am 11. Oktober 2011 allerdings 120 142 als erste ihrer Baureihe zur Verschrottung angeliefert wurde, schreckte das viele Eisenbahnfreunde und selbst gestandene Eisenbahner auf. Die Loks der Baureihe 120.1 waren schließlich etwas Besonderes! Die Baureihe 120.1 gilt als die erste in Serie gebaute Drehstromlok weltweit. Sie stellt einen Meilenstein in der technischen Entwicklung der Elektrolok dar, weil mit ihr die jahrzehntelang von vielen Eisenbahnen ersehnte Universallok geschaffen werden konnte. Bei der BR 120 wird aus dem Wechselstrom der elektrischen Fahrleitungen der Deutschen (Bundes-)Bahn Drehstrom zum Antrieb der Asynchron-Fahrmotoren gewonnen. Diese revolutionäre Antriebstechnik wurde Mitte der 1980er Jahre auch für die Triebköpfe des innovativen ICE 1 weiterverwendet.


Am 13. Oktober 2011 wurde die zwei Tage zuvor auf dem Stolberger Hauptbahnhof eingetroffene 120 142 zur Verschrottung bei der Firma Steil nach Eschweiler-Aue weitergeleitet.

Seit Beginn des Lokomotivbaus hatten Konstrukteure angestrebt, eine Lok für alle Anforderungen zu bauen. Die Loks der BR 120 hätten alle Mitte der 1980er Jahre bei der Deutschen Bundesbahn eingesetzten E-Loks ersetzen und sowohl schnelle Reisezüge als auch schwere Güterzüge befördern können.

Die Entwicklung der BR 120 wurde 1976 konkret begonnen. Während vor allem BBC für die „Elektrik“ verantwortlich zeichnete, oblag die Entwicklung des Fahrzeugteils den Firmen Krauss-Maffei, Krupp und Henschel. Am 14. Mai 1979 erhielt die Deutsche Bundesbahn mit 120 001 die erste Prototyp-Lok, der bis Januar 1980 vier weitere Vorserienloks folgten. Während 120 001 bis 120 004 noch für 160 km/h ausgelegt waren, wurde mit 120 005 die erste für 200 km/h geeignete Lok der BR 120 gebaut. Bis 1984 legten die Vorausloks bei ihrer eingehenden Erprobung rd. 4 Mio. Kilometer zurück.

Das langgestreckte, kantige Design der BR 120 war zwar umstritten (“zu technisch-nüchtern”, “gesichtslos”, “Kompromiss zwischen Zweckmodernität und neuerwachtem Konservatismus”, „unvergleichlich hässlich“), letztlich aber prägend für das Gesicht der Bundesbahnloks der 1980er Jahre. Vor allem bei den Dieseltriebwagen der BR 628 fand es weitere Verbreitung. Nachdem die fünf Prototypen noch in vornehmer rot/beiger TEE- bzw. IC-Lackierung ausgeliefert wurden, erhielten die späteren Serienloks der BR 120.1 die zeitgenössische Einheitsfarbvariante „orientrot mit Lätzchen“, die 120 142 zeitlebens behalten hatte.


Mit ihrem sachlich-nüchtern-minimalistischem Design sind die 120er keine „eye-catcher“. Als 120 153 im Mai 1998 mit einem Intercity in den Kölner Hauptbahnhof einlief, konnte sie weder die ganze Aufmerksamkeit des Fotografen für sich in Anspruch nehmen noch das Interesse der jungen Reisenden gewinnen. Bei einem französischen TGV, einem VT 11.5 oder einer V 200 in traditioneller Lackierung wäre die Situation möglicherweise anders gewesen….

Nach vierjähriger Erprobung entschied sich die Deutsche Bundesbahn 1984 im Konflikt zwischen dem Stolz auf die neue Technologie und der permanenten Mittelknappheit zwar für den Serienbau. Die gepriesene Universallok wurde aber nur in 60 Exemplaren bestellt, die bis Ende 1989 als BR 120.1 ausgeliefert wurden. Als erste Serien-Drehstromlokomotive wurde 120 103 am 13. Januar 1987 von der Industrie an die damalige Deutsche Bundesbahn übergeben. Die auffälligste Abweichung der Serienloks war ihre Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h. Die ausgereiften Serienloks wurden sofort in gestrafften Umlaufplänen eingesetzt, in denen sie tagsüber Intercity- und InterRegio-Züge beförderten und sich nachts vor schnellen Güterzügen verdingten.


Die erste Serienlok steht nach wie vor im Einsatz. Am 26. April 2011 konnte 120 103 im Bonner Hauptbahnhof vor dem IC 132 (Emden – Luxembourg) angetroffen werden.

Von der Laufleistung her betrachtet erlebten die Loks der Baureihe 120.1 ihren Höhepunkt nach der Eröffnung der letzten Teilabschnitte der Neubaustrecke Hannover-Würzburg und vor dem Start des ICE-Verkehrs 1991. Laufleistungen von 35.000 km pro Monat (!) waren seinerzeit die Regel. Schon mit der Aufnahme des ICE-Verkehrs begann ihr Stern bereits 1991 wieder zu sinken. Der Traum von der Universallok fand 1994 mit der Bahnreform und der Aufsplitterung in diverse Geschäftsbereiche ein jähes Ende. Die Loks wurden dem Geschäftsbereich Fernverkehr zugeordnet und können ihre universellen Eigenschaften nicht mehr voll zur Geltung bringen.


Am Morgen des 29. Juni 2011 passierte 120 131 mit dem EN 437 „Jan Kiepura“ (Warschau – Amsterdam) auf ungewöhnlichem Laufweg von Wuppertal nach Duisburg den Kölner Hauptbahnhof. Auch wenn die lokbespannten EC- und IC-Züge von der BR 101 dominiert werden, sind die Maschinen der BR 120.1 im Fernverkehr noch unentbehrlich.

Die fünf zuletzt als BR 752 geführten Vorserienloks wurden im Laufe ihres relativ kurzen Lokomotivlebens intensiv als Erprobungsträger genutzt und häufig Umbauten unterzogen. Sie standen Pate für die heutige Generation neuer Hochleistungs-Elloks, deren Entwicklung von der BR 120 über die Fortentwicklung der 127 001 zur Baureihe 152 und über die Fortentwicklung der 128 001 zur Baureihe 145 führte. 120 004 kann aufgrund der aufwändigen Umbauten als Prototyp der Baureihe 101 angesehen werden. Obwohl die Loks 127 001 und 128 001 durchaus als Nachfolgemodelle der BR 120 angesehen werden können, verlor das ursprüngliche Konzept der BR 120 aus den 1980er Jahren als Universallokomotive durch die Bahnreform an Bedeutung, da die fortan eigenständigen Geschäftsbereiche der Deutschen Bahn AG aus Kostengründen auf ihre jeweiligen Bedürfnisse speziell zugeschnittene Fahrzeuge bevorzugten.

Schon Anfang 2002 schieden die Vorserien-120 aus dem regulären Dienst aus. 120 001 wurde bei einem Unfall im Jahr 2004 zerstört und musste am Unglücksort zerlegt werden. Auch 120 002 ist bereits verschrottet worden. 120 003 wird heute im Bahnpark Augsburg aufbewahrt und gehört dem Verkehrsmuseum Nürnberg. Die 120 005 wurde nach Ablauf der Untersuchungsfristen dem Eisenbahnmuseum Weimar als Leihgabe zur Verfügung gestellt.
Alleine 752 004 kann heute noch im Einsatz beobachtet werden. Sie wird weiterhin durch DB Systemtechnik für Versuchsfahrten genutzt.


In ihrer aktiven Zeit konnte man die Vorserien-120er in der Region Aachen häufig beobachten. Am 07. Dezember 1989 war 752 002 alias 120 002 beispielsweise mit einem Messzug im Aachener Hauptbahnhof anzutreffen.

Auch wenn der einstige Hoffnungsträger der Deutschen Bundesbahn nie in den beabsichtigten Stückzahlen bestellt wurde und auch ohne direkten Nachfolger geblieben ist,  geht die Einsatzgeschichte der BR 120.1 nun nicht abrupt zu Ende. Aber das Ende der ersten Serien-Drehstromloks der Welt beginnt sich abzuzeichnen!

Nach rund 20 Jahren müssten die Loks der BR 120.1 zur nachhaltigen Bestandssicherung einem elektrotechnischen „Re-Design“ unterzogen werden. Es ist zweifelhaft, ob sich das für die geringe Stückzahl der auf elektronischen Komponenten der 1980er Jahre basierenden und mechanisch nicht unproblematischen Loks der BR 120.1 lohnt. Alternativ wären immer mehr Loks als Ersatzteilspender auszuschlachten – ein Weg, den 120 142 jetzt gegangen ist und der anderen Loks (bspw. 120 158) noch bevorstehen könnte.

In der Region Aachen wird die BR 120 wohl weiterhin präsent sein. Nachdem schon im Jahre 2007 erstmals fünf Loks der Baureihe 120 für ein neues Einsatzgebiet im Regionalverkehr auf der Relation Hamburg – Schwerin – Rostock mit neuen Servern, Zugzielanzeigern und Zugabfertigungssystem ausgerüstet und zur Unterbaureihe 120.2 umgenummert worden sind, wurden Ende 2010 mit 120 136, 120 139 und 120 117 drei weitere Drehstromloks für den Rhein-Sieg-Express (RE 9) umgerüstet. Sie sind seitdem als 120 206 bis 120 208 zwischen Aachen und Siegen vor den neuen RSX-Doppelstockzügen im Einsatz.


120 207 alias 120 136 passierte am 18. Juni 2011 mit einem RSX-Zug nach Siegen den Stolberger Hauptbahnhof. Zwischen Düren und Köln können diese Loks die Regionalzüge mit bis zu 160 km/h befördern.


Selbst im Fernverkehr gelangen immer noch Loks der BR 120.1 in die Region Aachen. So konnte am 14. Oktober 2011 beispielsweise 120 138 mit IC 1918 (Aachen – Berlin-Südkreuz) auf Gleis 7 des Aachener Hauptbahnhofs im Bild festgehalten werden.

Am späten Abend des 13. Oktober 2011 begab sich 120 142 im Schlepp von 294 582 auf ihre letzte Fahrt zum Schrottverwertungsunternehmen Steil in Eschweiler-Aue. Dass die erste Lok der relativ jungen BR 120.1 nun schon auf den Schrott gewandert ist, das wunderte am Ende doch.

 

Eine Lok der BR 120 museal betriebsfähig zu erhalten, dürfte ausgesprochen schwierig, wenn nicht unmöglich sein. Denn im Gegensatz zu den elektromechanischen Bauteilen der älteren E-Loks, die sich in einer gut ausgerüsteten Elektrowerkstatt durchaus selbst herstellen lassen, ist es nahezu unmöglich, die elektronischen Komponenten der Drehstromloks in Eigenregie zu fertigen. Für eine kleine Zahl von Museumsloks wird man kaum eine entsprechende Produktionsanlage unterhalten können.

Weitere Informationen zur ersten Serien-Drehstromlok der Welt findet der Interessierte bspw. hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/DB-Baureihe_120

 

11 Gedanken zu „Zur Verschrottung der 120 142 …“

  1. Ihr irrt Euch! Die BR 120 war NIE die erste „Serien-Drehstromlok“ der Welt. Die NSB hatte mit der „El17“ bereits 1981 eine Seriendrehstromlok, die auf der BR 120.0 basierte, die DSB bekam ab 1984 die Baureihe „EA“.

    Grüße

    Sascha

  2. Die Baureihe 120 wurde als Prototyp allerdings bereits am 16.03.1976 in Auftrag gegeben und ist daher indirekt schon die erste ‚Drehstromlok‘ der Welt. P.s. Ich war an der Entwicklung der Baureihe 120 beteiligt und daher an erster Stelle dran.

  3. Die dänische und die norwegische Lokomotive basieren beide auf der deutschen Baureihe 120.
    Zu erwähnen wäre noch, dass die 120 im Wesentlichen auf die Arbeiten von Henschel zurückgehen, die mit den dieselelektrischen Lokomotiven 202 beziehungsweise dem Versuchsträger „UmAn“ die Grundlage für Komponenten der Baureihe 120 und dem ICE 401 geschaffen haben.
    Die Baureihe 120 war nicht nur die erste serienmäßig beschaffte Drehstromlokomotive der Welt, sie war auch die erste Drehstromlok mit GateTurnOff- Thyristoren

  4. Tja sind schon wirklich schöne Fahrzeuge. 752 004 oder 120 004 steht nun übringens im DB Museum Koblenz Lützel. Allerdings nicht mehr im fahrfähigem Zustand…

  5. Beim Elektronik-seitig verwandten ICE (zumindest dem ICE2) werden neue Stromrichter in moderner IGBT-Technik eingebaut.
    Wahrscheinlich will man das bei der 120 nicht mehr machen, weil die Lokkästen schon zu sehr gelitten haben. Schade eigentlich.

    Soweit ich weiß sind jetzt in Opladen noch weitere Loks dieser Baureihe zum Verschrotten eingetroffen. Ich gehe mal davon aus, dass die 120 im Fernverkehr in absehbarer Zeit wegfallen könnte, da durch neue ICE4 und IC2 Lokomotiven der Baurehe 101 in einigen Fällen frei werden und die 120 verdrängen.

  6. Als Beteiligter bei der gesamten Entwicklung der Drehstromlokomotiven muss ich leider etwas korrigieren:
    1. Die BR 120 war nicht die erste Drehstrom E-Lok. Die erste war die E1200 für die damaliger Ruhrkohle AG in 1976/1977. Danach folgte die EDE1000/500 für die Thyssen Stahlwerke, eine Zweikraftlok für Fahrleitung (600V) und Dieselantrieb. Verwendet wurden Thyristor-Stromrichter mit Luftkühlung, wie in den ursprünglichen Drehstrom Versuchsträgern Henschel-BBC DE2500 aus 1971 (!) verwendet.
    2. Die BR 120 hatte Thyristor – Stromrichter mit Öldosenkühlung. Erst die aus den BR120 – Prototypen entstandenen Versuchsträger 120 004 und 120 005 bekamen GTO – Stromrichter, diese gab es dann auch bei der BR 101.

  7. Als Lokführer bin ich sie jedenfalls gern gefahren,und die 120 142 war mir zur Ausbildung zu Verfügung gestellt worden. Sie war auch elektrotechnisch besonders wenn ich mich recht erinnere. Danke an die Kostrukteure,man merkte beim Fahren,dass sie mehr Geld kostete als die 101….

  8. die 120er waren offenbar technisch nicht ausgereift…
    Eine Serienlok kostete 5,5 Mio. DM, eine 101er ca. 5,8 Mio DM…

    Bei der BR101 kamen diese nervig lauten Stromrichter zum Einsatz,die später auch beim TR06 verbaut werden..

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