15. September 1944 – Tieffliegerangriff auf einen Zug bei Hücheln

Zur Geschichte der Eisenbahn gehören nicht nur Glanzpunkte wie die Einführung neuer Zugverbindungen oder der Einsatz spektakulärer Fahrzeuge, sondern ebenso Schattenseiten wie etwa Zugunglücke oder andere menschliche Tragödien. Auch auf der Strecke Köln – Aachen hat es solche Katastrophen gegeben. So waren bei der Entgleisung des D 23 Paris – Köln – Berlin – Warschau am 25. August 1929 im Bf. Buir 13 Tote, 40 Schwer- und 60 Leichtverletzte zu beklagen. 5 weitere Unfallopfer erlagen später im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Und am 27. Mai 1983, als der Wien-Oostende-Expreß mit 130 km/h beim Bf. Großkönigsdorf im Bereich des aufgeschlitzten ehemaligen Königsdorfer Tunnels in einen Erdrutsch raste, gab es 6 Tote und 18 Verletzte.

Zu den eher vergessenen oder unbekannten Tragödien der Eisenbahn rund um Stolberg gehört der Tieffliegerangriff auf einen Flüchtlingszug, den es noch schlimmer traf, als er am 15. September 1944 kurz nach seiner Abfahrt vom Eschweiler Hauptbahnhof bei Hücheln von Tieffliegern der US-Air Force angegriffen wurde. Auch wenn die Zahl der Opfer dieses Tieffliegerangriffes hier nicht exakt angegeben werden kann (für ein Gedenken an dieses grässliche Kriegsgeschehen letztlich aber auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist), so ist dennoch festzuhalten, dass an jenem 15. September 1944 bei Hücheln mehr Menschen getötet worden sind als bei den anderen schweren Eisenbahnunglücken auf der Strecke Köln – Aachen. Obwohl die amerikanischen Jagdbomber den Zug nicht auf dem Gebiet der Stadt Stolberg angegriffen hatten, waren die meisten der Opfer Frauen und Kinder aus Stolberg, die nach Westfalen evakuiert werden sollten, weil die Frontlinie an diesem Tag bereits mitten durch Stolberg verlief.

Mit diesem Beitrag soll der Versuch unternommen werden, mehr als 65 Jahre danach noch einige Mosaiksteinchen von diesem Schicksalstag zusammen zu tragen.

Die „Aachener Nachrichten“ erinnerten im Jahre 1994 mit einer Art Kriegstagebuch über die seinerzeit 50 Jahre zurückliegende Kämpfe im Rheinland in der Endphase des Zweiten Weltkrieges. Zu den Ereignissen vom 15. September 1944 wurde dieser Bericht veröffentlicht:

Wenige Tage später erschien in der Lokalausgabe „Stolberger Nachrichten“ dieser Leserbrief des Augenzeugen Herbert Bolz, der den Angriff als Zehnähriger erlebte:

Eine weitere Quelle findet sich im Heft 3 einer Schriftenreihe des Eschweiler Geschichtsvereins, wo anhand der Tagebuchaufzeichnungen eines Oberlokführers der Deutschen Reichsbahn von jenen Kriegstagen berichtet wird.

Soweit man sich nach über 65 Jahren noch ein Bild von jenen Tagen machen kann, dürfte  sich die Tragödie an jenem 15. September 1944 folgendermaßen zugetragen haben:

Mit der Landung alliierter Truppen in der Normandie am 06. Juni 1944 wurde das Ende des Zweiten Weltkrieges eingeleitet. Schon nach etwa drei Monaten erreichten die US-Truppen am 12. September 1944 bei Roetgen die deutsche Grenze und betraten erstmals deutsches Gebiet. Nur einen Tag später waren die US-Truppen schon bis Oberstolberg vorgedrungen. Viele Menschen in Stolberg wollten in Anbetracht des schnellen Vorrückens der Invasionstruppen und der rasanten Rückeroberung von Nordfrankreich und Teilen Belgiens in der Stadt bleiben und sich schnell von der Front überrollen lassen. Sah es Anfang September 1944 wegen der zurückströmenden Wehrmachtseinheiten und den Auflösungserscheinungen bei den örtlichen Schaltstellen des NS-Regimes noch so aus, als würde auch hier kein großer militärischer Widerstand geleistet, so änderte sich genau in jenen Tagen die Lage. Die Wehrmacht verlegte neue Kampfeinheiten in die Aachener Region und setzte zur erbitterten Verteidigung an.

Die US-Truppen suchten vorrangig den Weg nach Aachen, um die erste deutsche Großstadt einzunehmen und damit ihre militärische Stärke überzeugend unter Beweis zu stellen. So lag die Hauptstossrichtung der US-Truppen auf Munsterbusch, Eilendorf, Verlautenheide und Würselen, um auf diesem Weg die Stadt Aachen zu umschliessen.

Mitten in der Stadt Stolberg kam deshalb die Front zum Stehen. Für die Flucht vor den Kämpfen oder die behördlich angeordnete Evakuierung waren die meisten Menschen im Jahre 1944 auf die Deutsche Reichsbahn angewiesen. Nur ganz wenigen Menschen stand ein Kraftfahrzeug zu Verfugung. Auch andere eigene Fahrzeuge wie bspw. Pferdefuhrwerke waren kaum vorhanden.

In dieser Situation wurden die Bahnbetriebswerke des Aachener Raums am 12. und 13. September 1944 geräumt. Alle Lokomotiven wurden nach Westfalen abgefahren. Damit war der Eisenbahnbetrieb in Stolberg weitgehend zum Erliegen gekommen. Der Stolberger Hauptbahnhof befand sich zwar noch in deutscher Hand, wegen der unmittelbaren Frontnähe war dort aber kein Bahnbetrieb mehr möglich. Aus diesem Grund versuchte die Deutsche Reichsbahn, den Fahrbetrieb zumindest noch bis Eschweiler aufrecht zu erhalten. So sammelten sich dort im Laufe des 14. September 1944 schon Hunderte Menschen, die auf eine Gelegenheit warteten, aus dem Kampfgebiet zu fliehen.

Schon am Morgen des 14. September 1944 waren „zwei schwere Lokomotiven“ aus Köln bis zum Eschweiler Hauptbahnhof gefahren, um im Stolberger Hauptbahnhof noch auf ihren Abtransport wartende Räumzuge abzufahren. Als die Sirenen gegen 10.30 Uhr Fliegeralarm gaben, versuchte man noch, die beiden Loks aus dem Hauptbahnhof in Richtung Bergrath und Nothberg hin in Sicherheit zu bringen, doch in Höhe des Ringofenwerkes wurden sie von Tieffliegern angegriffen und zerstört. Am 14. September 1944 gegen 13 Uhr gelang es, einen überfüllten Personenzug unbeschadet vom Eschweiler Hauptbahnhof aus in Richtung Düren wegzufahren.

Auch in der Nacht vom 14. zum 15. September 1944 fuhren noch einige Züge mit Flüchtlingen vom Eschweiler Hauptbahnhof weg.

Im Laufe des 15. September 1944 verkehrten zunächst keine weiteren Züge vom Eschweiler Hauptbahnhof aus in Richtung Düren. Dennoch war der Eschweiler Hauptbahnhof von zahlreichen Menschen belagert, die mit der Reichsbahn wegfahren wollten.

In Stolberg wurden die Menschen währenddessen zur Evakuierung aufgefordert. Für sie sollte es am Nachmittag vom Eschweiler Hauptbahnhof aus einen Eisenbahntransport nach Westfalen, in die Region um Bünde, geben. So begaben sich viele Stolberger mit ihrem Flüchtlingsgpäck zu Fuss zum Eschweiler Hauptbahnhof.

Der Eisenbahntransport fand in einem Zug statt, der aus leeren und beladenen Güterwagen gebildet war. Der erste Waggon hinter der Lok war ein gedeckter Güterwagen, dem eine Reihe offener Güterwagen folgte. Die evakuierten Stolberger wurden auf dem Eschweiler Hauptbahnhof in diese offenen Güterwagen gepfercht. Vor der Abfahrt wurden die Türen nach Aussagen von Zeitzeugen von aussen verriegelt.

Obwohl schon am Nachmittag über dem Eschweiler Hauptbahnhof rege Tieffliegeraktivitäten zu beobachten waren, wartete man mit der Abfahrt des Flüchtlingszuges nicht bis zur Dunkelheit, sondern ließ den Zug gegen 17 Uhr in Richtung Düren abfahren. Kurz nach der Abfahrt des Zuges kam erneut Fliegeralarm, dem schon kurz danach vier US-Jagdbomber folgten. Bei Hücheln wurde der mit rd. 200 Flüchtlingen besetzte Zug angegriffen, indem zuerst die Lokomotive beschossen und zum Stehen gebracht wurde. Anschliessend wurde der Zug attackiert. Nach Angaben von älteren Stolbergern, die im Zug waren, drehten die Tiefflieger immer neue Runden, um den Zug mit ihren Bordwaffen intensiv zu beschiessen. Besonders die Menschen, die in den von außen verriegelten offenen Waggons waren, überwiegend Frauen, Kinder und ältere Menschen, sassen in der Falle. Aber auch sonst gab es in der offenen Feldlandschaft bei Hücheln um den Zug herum so gut wie keine Deckung. Aus Hücheln und Nothberg herbeieilende Bewohner versuchten, erste Hilfe zu leisten und die Menschen aus dem brennenden Zug zu retten. Erst später trafen Hilfsmannschaften der Reichsbahn und der Wehrmacht ein. Aus den Trümmern des Zuges wurden nach Angaben eines Eschweiler Reichsbahners 25 Tote und viele Verletzte geborgen. Nach Angaben der Aachener Nachrichten sollen bei dem Massaker 80 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, getötet worden sein.

Die überlebenden Flüchtlinge aus Stolberg wurden später weitertransportiert , beispielsweise nach Rödinghausen und Schwennigdorf in die Umgebung von Bünde.

Die getötete Lokmannschaft wurde von Kollegen am 16. September 1944 nach Koln überfuhrt, die getöteten Stolberger wurden zunächst auf dem Eschweiler Ehrenfriedhof beerdigt. Etwa ein Jahr später fanden sie auf dem Stolberger Friedhof an der Bergstrasse ihre letzte Ruhestätte.

Der Bahnbetrieb auf dem Eschweiler Hauptbahnhof wurde nach diesem Massaker am Abend des 15. September 1944 eingestellt.

Die Gräber der Opfer sind auf dem Stolberger Friedhof Bergstrasse immer noch zu sehen.

Ein Gedanke zu „15. September 1944 – Tieffliegerangriff auf einen Zug bei Hücheln“

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,

    mein Grossvater Heinrich Runggas war Lokführer bei der Reichsbahn in Stolberg und anschliessend bei der Bundesbahn. Ich möchte mal nachfragen ob sie vielleicht noch Fotos und Informationen über seinen Werdegang haben da er leider lange vor meiner Geburt verstorben ist und ich leider nur sehr wenig über ihn weiss.

    Mit freundlichen Grüssen

    Michael Thiele

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert