Seit je her strebte die Eisenbahn nach einer Erhöhung der Reisegeschwindigkeit im Zugverkehr. Die Deutsche Bundesbahn entwickelte nach der Beseitigung der Kriegsschäden und einer Festigung der Verkehrsverhältnisse in den 1960er Jahren ebenfalls Bestrebungen, ihren Reisezugverkehr deutlich zu beschleunigen und auf einer Vielzahl von Hauptstrecken Fahrgeschwindigkeiten von bis zu 200 km/h zu erreichen. 1961 begann die Deutsche Bundesbahn mit der Entwicklung einer neuen Schnellfahrlokomotive, die dann 1965 in Form der schweren, sechsachsigen Loks der Baureihe E 03 erschien. Zunächst wurden 4 Vorserienloks dieser prestigeträchtigen Schnellfahrlok der Baureihe E 03 gefertigt, die von Anfang an für eine Geschwindigkeit von 200 km/h ausgelegt wurden, obwohl es erst wenige Streckenabschnitte gab, auf denen dieses Tempo überhaupt erreicht werden konnte.
Auch im Ausland fand die neue deutsche Schnellfahrlok reges Interesse
Mit den Mitteln der damaligen Zeit konnte das große Ziel natürlich nur schrittweise erreicht werden. Die Grundlage für den Vorstoß in diese Geschwindigkeitsdimensionen war die Einführung des elektrischen Fahrbetriebes und bei Bedarf der punktuelle Ausbau von Strecken.
So beabsichtigte die Deutsche Bundesbahn auch die Modernisierung der Strecke Köln – Aachen als einem wichtigen Teil ihres internationalen Fernstreckennetzes. In Netzkarten aus jenen Jahren wird diese Strecke häufig als „Ausbaustrecke“ dargestellt, die für eine Streckengeschwindigkeit von bis zu 200 km/h ertüchtigt werden sollte.
Bevor zwischen Köln und Aachen die elektrische Fahrleitung installiert werden konnte, war allerdings eine Vielzahl von Anpassungsarbeiten erforderlich. Zu den spektakulärsten dieser Maßnahmen zählte das Aufschlitzen des 1841 erbauten und 727 m langen Nirmer Tunnels und der Ersatz durch den Neubau von zwei kürzeren Tunnels und einem offenen Einschnitt. So entstanden zwischen 1964 und 1966 der 357 m lange Eilendorfer Tunnel und der 125 m lange (neue) Nirmer Tunnel. Alleine schon wegen der Montage der elektrischen Fahrleitungen errichtete man die neuen Tunnel natürlich mit einem größeren Lichtraumprofil als es der aus der Frühzeit der Eisenbahn stammende alte Nirmer Tunnel besaß. Beide Tunnel waren gleichzeitig schon für die zukünftig angestrebte Fahrgeschwindigkeit von 200 km/h ausgelegt worden.
Am 25. April 1966 wurde die elektrische Fahrleitung erstmals mit 15.000 Volt Spannung in Betrieb gesetzt. Die feierliche Eröffnungsfahrt wurde am 18. Mai 1966 mit der belgischen Mehrsystemlok 160.021 veranstaltet. Ab dem 23. Mai 1966 wurde der planmäßige elektrische Fahrbetrieb eingeführt.
Auf dem Weg zum Hochgeschwindigkeitsverkehr war indes noch viel Pionierarbeit zu leisten. Die betrieblichen Anforderungen an die Fahrzeuge, den Oberbau und die elektrischen Fahrleitungen waren in vielerlei Hinsicht noch nicht ausreichend erforscht. Gerade auch zu den Vorgängen bei Hochgeschwindigkeitsfahrten durch Tunnel und bei der Begegnung von zwei Hochgeschwindigkeitszügen in Tunneln sowie dem Zusammentreffen von schnellen Zügen mit gewöhnlichen Zügen innerhalb von Tunnelröhren musste noch viel Forschungs- und Erprobungsarbeit geleistet werden.
So kam es, dass die Deutsche Bundesbahn im Juli 1967 auf der rd. 5 km langen schnurgeraden Strecke zwischen Eilendorf und Stolberg Hbf mit den beiden dort nach neuesten Erkenntnissen erbauten Tunnel ein mehrtägiges, umfangreiches Versuchsfahrtenprogramm durchführte.
Etwa ein Jahr nach der Fertigstellung der neuen Tunnel sind die Spuren des gewaltigen Bauvorhabens noch deutlich sichtbar. Tief unten im offenen Einschnitt rast E 03 004 mit dem Messzug von Aachen-Rothe Erde nach Stolberg.
103 004 mit dem Messzug auf der Fahrt von Stolberg in Richtung Aachen-Rothe Erde am Westportal des neuen Nirmer Tunnels
Zur Untersuchung der Vorgänge bei der Begegnung von zwei Zügen in den Tunnelröhren mussten die Versuchsfahrten mit äußerster Präzision ablaufen, um die Begegnung exakt an den vorgesehenen Messpunkten zu gewährleisten. So starteten die beiden Züge stets an genau festgelegten Ausgangspunkten. Auch die Beschleunigung auf die in den jeweiligen Versuchen vorgesehenen Geschwindigkeiten musste genau nach vorgegebenen Plänen erfolgen, um den vorbestimmten Treffpunkt zielsicher zu erreichen und den versuchsgemäßen Ablauf von Zugbegegnungen einzuhalten.
Wie dieser Ausschnitt zeigt, waren die Fahrleitungsanlagen im Bereich der beiden Tunnel in einer Sonderbauart errichtet worden.
Da die Loks der BR E 03 im Jahre 1967 noch spektakuläre Errungenschaften waren, fand der Einsatz der im Juni 1965 in Dienst gestellten E 03 004 in der Region Aachen natürlich in der Bevölkerung viel Interesse und wurde von der Presse verfolgt.
Pressetermin auf dem Stolberger Hauptbahnhof
Wie anhand der gezeigten Fotos sichtbar, wurden die Versuchsfahrten u.a. mit der Lok E 03 004 durchgeführt. Welche Lokomotiven vor dem zweiten Versuchszug im Einsatz waren bzw. zu den Versuchsfahrten sonst noch herangezogen wurden und mit welchen Zugbildungen die Versuchsfahrten durchgeführt wurden, ist mir allerdings nicht bekannt. Für Hinweise hierzu wäre ich dankbar.
Ergänzung vom 05. September 2010:
Aus dem Forum „Historische bahn“ bei www.drehscheibe-online.de habe ich diese ergänzenden Informationen zu der zweiten beteiligten Lok (110 300) und der Zugbildung der Messzüge bekommen.
kleiner Exkurs:
Die Erfahrungen aus dem Betrieb der Vorserienloks flossen in die Konstruktion der nachfolgenden Serienloks ein. Zwischen 1970 und 1974 wurden insgesamt 145 Loks der verbesserten BR 103 (103 101 bis 103 245) in Dienst gestellt, die bis zum Erscheinen des ICE (1989) die Flaggschiffe der Deutschen Bundesbahn waren. Die Serienloks der BR 103.1 waren bei einem Betriebsgewicht von 116 Tonnen in der Lage, einen aus 10 Waggons bestehenden Intercityzug in weniger als 3 Minuten auf 200 km/h zu beschleunigen. 1997 begann die DB AG, die Loks der BR 103 durch die Nachfolger der BR 101 zu ersetzen. Im Jahre 2003 endete der planmäßige Einsatz der letzten Loks der BR 103. Die Loks hatten im Durchschnitt pro Betriebstag mehr als 1000 km zurückgelegt, die Gesamtlaufleistung zum Ausmusterungszeitpunkt lag bei den meisten Mascinen über 8 Mio. km.
Die vier Vorserienloks wurden ab 1979 aus dem regulären Zugdienst herausgenommen und bis 1997 als Versuchsfahrzeuge verwendet. Am 14. Juni 1985 erreichte die Lok 103 003-0 zwischen Rheda und Oelde in Westfalen vor einem aus zwei Meß- und einem Reisezugwagen bestehenden Versuchszug mit 283 km/h einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf dem deutschen Schienennetz.
In dieser Zeit waren die Loks 103 001 bis 103 004 häufig in der Region Aachen zu sehen.
Am 16. Dezember 1982 konnte man 103 004 erneut vor einem Messzug auf dem Stolberger Hauptbahnhof erleben.
103 004-8 blieb der Nachwelt erhalten, sie wird im Bahnbetriebswerk Lichtenfels aufbewahrt.
Am 25. Juni 1986 wurde 103 001 von Aachen Hbf aus vor einem Messzug eingesetzt.
(Im Hintergrund ist der Akkutriebwagen 515 624 zu erkennen, der seinerzeit als Eilzug zwischen Aachen und Maastricht verkehrte.)
Mit ein wenig Glück – so wie hier am 25. April 2008 – kann man Loks der Serienausführung noch beim Bw Köln Bbf antreffen, von wo aus sie häufig mit Nostalgie-TEE-Zügen im Sonderreiseverkehr eingesetzt werden.
Eine sehr interessante Sache! Angesichts dessen ist es verwunderlich, dass heute dieser Abschnitt ausgerechnet zum eher langsamen Teil der Strecke Aachen-Köln gehört.
Die Maschinen 103 113 und 103 235 befinden sich mittlerweile wieder im Regeleinsatz auf den IC 118/119 und IC 2099/2318.
http://www.drehscheibe-online.de/ds_redaktion/anlagen/536-103ff-2013.pdf
und
http://de.wikipedia.org/wiki/Br_103#Weitere_Verwendung
Sowie die Maschine 103 245 einen IC zwischen München und Nürnberg bespannt…